Haben Sie schon einmal das Wort „Atychiphobie“ gehört? Klingt nach einem komplizierten Begriff, der sich auch noch ausgesprochen seltsam anhört. Auf Deutsch bedeutet das Wort die lähmende Angst vor Fehlern und vor dem Versagen. Gewöhnlich kommt jeder Trader irgendwann einmal in seiner Karriere an einem Punkt, wo das Selbstvertrauen weg ist. Es läuft einfach nicht, obwohl man schon einiges verändert hat. Im Extremfall kann sich das zu einer lähmenden Angst ausweiten.
Wir alle kennen Plattitüden wie „Es ist nicht schlimm, mal daneben zu liegen“; „Jeder macht mal Fehler“; „Wir lernen aus unseren Fehlern“ und so weiter. Vom Grundsatz her stimmen sie. Allerdings werden sie heutzutage – vor allem durch die sozialen Medien – so oft verbreitet, dass sie einfach nicht mehr wirken. Wir verstehen zwar ihre Bedeutung, aber sobald es um uns selbst geht, empfinden wir dennoch Frust, Unzufriedenheit, Wut und Ärger. Das alles nur, weil wir feststellen, dass wir falschliegen. Etwas zu verstehen heißt nicht automatisch, es auch anzuwenden. Mit anderen Worten: Die Bedeutung von etwas zu verstehen und an etwas aus Überzeugung zu glauben, ist komplett verschieden. Wenn man nämlich die Bedeutung analysiert, richtet man sein Verhalten in der Regel nach Glauben aus.
Die meisten Menschen würden alles in ihrer Macht stehende dafür tun, um nicht „falsch zu liegen“. Das ist durchaus ein Problem – nicht nur für uns als Trader, sondern auch für uns als Individuum. Darüber hinaus ist es ein Kulturproblem. Wir klären in diesem Artikel, warum es uns so wichtig ist, richtig zu liegen – und warum es ein Problem ist. Zum Schluss des Artikels sollten Sie bestenfalls dieses Gefühl hinter sich lassen können. Wenn Sie das schaffen, ist es der erste Schritt Richtung Erfolg an den Märkten und auch in Richtung Ihrer persönlichen Freiheit.
Warum wollen wir immer richtig liegen? Die Ursache ist ziemlich heimtückisch und rüttelt an den Grundpfeilern unserer Gesellschaft. Die Basis liegt in der Erziehung, bei der man den Kindern eintrichtert, immer alles richtig zu machen und fleißig Lernstoff zu wiederholen. Dabei füttert man sie mit Fakten und fragt sie danach ab. Diejenigen mit den geringsten Fehlern gelten als die Schlauesten. Kinder, die Fehler machen, bekommen die schlechtesten Noten und leiden darunter, sich zu blamieren.
Das Bildungssystem befasst sich nicht damit, uns beizubringen, wie wir aus unseren Fehlern lernen und nach dem Scheitern einen Neuanfang wagen können. Obwohl genau das von entscheidender Bedeutung für unser zukünftiges Leben wäre. Die Gesellschaft grenzt diejenigen aus, die nicht vorgegebene Standards erfüllen. Wir werden sogar so erzogen, dass wir in unserem Leben immer nach Perfektion streben, – auch wenn es so etwas gar nicht gibt.
Von Beginn an lernen wir, schmerzhafte Erfahrungen zu vermeiden, die durch Scheitern und Misserfolg entstehen. Folgerichtig entwickeln wir eine Leidenschaft dafür, richtig zu liegen. Wer zu einem autarken und selbstbestimmten Trader, Unternehmer oder Innovator werden möchte, hat nun eine Reise vor sich, bei der er völlig unvorbereitet auf die harte Wirklichkeit trifft.
Statt mit der Unsicherheit zu leben und uns dieser anzupassen, versuchen wir verzweifelt, Sicherheit zu schaffen – sogar dort, wo es keine gibt und nicht geben kann. Als Trader sehnen wir uns nach jenem Gefühl der Sicherheit, das uns die Technische Analyse und die zahlreichen Indikatoren auf unseren Charts scheinbar geben.
Die Auf- und Abwärtsbewegungen der Märkte lassen unsere Stimmung wie ein Pendel ausschlagen. Scheitern wir, macht uns das wahnsinnig. Falsch zu liegen kann jetzt nur bedeuten, dass mit uns selbst etwas nicht stimmt. Schließlich glaubten wir vorher daran, dass wir richtig liegen. Also bleiben wir beharrlich dabei und versuchen umso mehr richtig zu liegen. Denn genau das gibt uns das Gefühl, schlau, verantwortungsbewusst, anständig und mutig zu sein. Ein Trugschluss in einer Endlosschleife!
Der präzise Maßstab liegt in der Realität
Inflexibilität beim Trading bedeutet langfristig nur Mittelmäßigkeit. Wenn wir diese Tatsache beherzigen, können wir den Spieß umdrehen. Wir müssen uns von unserem Bedürfnis verabschieden, richtig zu liegen. Stattdessen sollten wir uns mit der Unsicherheit anfreunden. Dazu müssen wir offen für folgende Erkenntnisse sein:
- Wir haben keinerlei Kontrolle! Die Welt wird von Ursache und Wirkung beherrscht. Das Leben eines jeden ist eine direkte Folge von Ursachen, über die wir keine Kontrolle haben. Dies wird von unterschiedlichen Faktoren bestimmt, die wir unmöglich analysieren können. Haben Sie die Kontrolle über die Menschen, die Ihr Leben nachhaltig beeinflussen? Haben Sie die Kontrolle über die Kraft der Natur? Haben Sie die Kontrolle über die Märkte? Wenn Sie das glauben, ist es nur eine Illusion.
- Unsere Entscheidungen sind größtenteils nicht objektiv. Wir neigen zu der Ansicht, dass unsere Meinungen durch die sorgfältige und objektive Auswertung von Ideen, Fakten, Parametern gebildet werden. Deshalb erscheinen sie uns intelligent und vernünftig. In Wirklichkeit aber basieren unsere Entscheidungen und Meinungen häufig auf innere Überzeugungen. So ein Bauchgefühl kollidiert schnell mit den harten Fakten.
- Meinungen entstehen in unserem Kopf. Unsere Umwelt – die Märkte inbegriffen – kategorisiert nicht die Informationen, die sie uns liefert. Gut, schlecht, richtig oder falsch sind subjektive Meinungen, die ausschließlich in unseren Köpfen hervorgerufen werden.
Die drei genannten Erkenntnisse machen uns auf unsere ineffiziente und fehlende Flexibilität aufmerksam. Schlimmer noch, es ist der eigentliche Grund für unsere Unfähigkeit, beim Trading nachhaltig positive Ergebnisse zu erzielen. Verabschieden Sie sich von der Idee, immer richtig liegen zu müssen und Sie werden Ihr Trading plötzlich ganz anders wahrnehmen.
So machen Sie sich innerlich frei
Es gibt keine Medizin dafür, toleranter und weniger streng mit uns umzugehen. Die folgenden Ratschläge werden Ihnen nur etwas nützen, wenn Sie sich konsequent daran halten.
- Erkennen Sie, wann Sie richtig liegen wollen. Versuchen Sie in einer stressigen Situation, Ihren Körper und Ihre Gedanken ganz bewusst zu beobachten. Sie werden relativ häufig feststellen, dass Ihr Stress eine Folge eines inneren Widerstandes ist. Diese Haltung nehmen Sie ein, wenn Sie bei einer Sache richtig liegen wollen. Indem Sie sich Ihres Verhaltens bewusst werden, verschaffen Sie sich einen mächtigen Vorteil.
- Es ist in Ordnung, falsch zu liegen – ist es wirklich! Anstatt diese Phrase mit einer Handbewegung abzutun, sollten Sie bewusst damit umgehen. Erfassen Sie die Bedeutung in ihrer ganzen Tiefe. Dauerhafter Erfolg am Markt ist ein kurvenreicher Weg und niemals eine gerade Linie. Indem Sie stets am Ball bleiben, immer aktiv sind und die Positionsgröße klein halten, werden Sie durch die Praxis immer besser. Noch besser: Sie können endlich aus Ihren Fehlern lernen.
- Wie fühlt es sich an, falsch zu liegen? Sie werden vermutlich sagen: „schrecklich“, „peinlich“, „frustrierend“. Formulieren Sie nun die Frage um: „Wie fühlt sich die Erkenntnis an, falsch zu liegen?“ Das kann sich genauso schlecht anfühlen. Es kann vernichtend sein, aber auch aufschlussreich, ja sogar lustig. Falsch zu liegen fühlt sich – denkt man genauer darüber nach – eigentlich nach nichts an. Wenn wir bei einer Sache falsch liegen, hat man im Gegenteil sogar das Gefühl, dass man richtig liegt – man hat nur noch nicht erkannt, dass man falsch liegt. Wir selbst können mithilfe unserer Wahrnehmung unsere Erfahrungen in einen bestimmten Kontext stellen. Dabei können wir jederzeit Änderungen daran vornehmen, um einzelne Situationen anders wahrzunehmen. Wir müssen lediglich unsere Sichtweise ändern, was „falsch“ wirklich bedeutet. Bedeutet es Scham oder Wut, was unsere Sicht eher einschränkt, oder aber Faszination, Unbefangenheit, Motivation und neue Möglichkeiten?
- Werden Sie zum Wissenschaftler. Menschlicher Fortschritt beruht auf den Grundlagen wissenschaftlicher Untersuchungen. Wird ein naturwissenschaftliches Experiment durchgeführt, gibt es eine Menge Ergebnisse – positive wie negative. Aber alles sind wichtige Informationen. Wissenschaftler sehen Fehlschläge als einfache Datenpunkte an. Ein ähnlicher Ansatz wird auch von Profi-Tradern verwendet. Alle Trades – ob Gewinne oder Verluste – sind Datenpunkte. Wenn wir diese Einstellung beherzigen, befreien wir unseren Kopf von dem emotionalen Schandfleck, der Fehlern, Fehlschlägen und dem persönlichen Scheitern anhaftet.
Fazit
Ohne Überraschungen, plötzliche Wendungen und Misserfolge ist unser Leben eintönig. Wir sollten unseren Frieden damit schließen, dass wir nichts von dem kontrollieren können, was außerhalb von uns existiert. Inmitten der Unsicherheit sollten wir gelassen bleiben und den Dingen ihren Lauf lassen. Wir müssen lernen, uns von Wahrnehmungen zu lösen, die uns naturgemäß einengen. Wer nicht mehr dauernd und partout richtig liegen will, legt den Grundstein für dauerhaften Trading-Erfolg. Wir entwickeln ein emotionales Wohlbefinden – und genau das ist der größte moralische, geistige und kreative Schritt, den man gehen kann.
Hinterlasse jetzt einen Kommentar